Der Trojanische Krieg in seinen Anfängen. Die griechische Flotte wartet in Aulis vergeblich auf günstige Witterung. Die Truppen werden ungeduldig. Agamemnon muss vor seiner Armee Haltung zeigen – sogar die Opferung seiner eigenen Tochter wird ernsthaft erwogen... Inmitten von Krieg und politischen Verwicklungen befindet sich eine junge Frau, die für die Lösung des Konflikts mit ihrem Leben einstehen soll: Iphigenie. Mit einer Neuinterpretation von Euripides‘ Iphigenie in Aulis inszeniert der mehrfach preisgekrönte tschechische Regisseur Dušan David Pařízek erstmals am Schauspielhaus Bochum. Ihn interessiert dabei auch die Frage, auf welcher Grundlage Männer über das Leben von Frauen entscheiden beziehungsweise wie weiblich das Gesicht des Krieges auch sein kann?

Was interessiert dich an Euripides‘ Stück?

Dušan David Pařízek: Das Opfer, das es im Moment der Krise aufgrund der Staatsraison zu bringen gilt, konfrontiert uns mit den Ursprüngen unserer abendländischen Identität. Ethische Fragen, mit denen sich der Einzelne wie die Gesellschaft in Zeiten der Bedrohung konfrontiert sehen, individuelle und höhere Werte, das Mit- und Gegeneinander von Freiheit und Autorität werden von Euripides in Iphigenie in Aulis auf ihren primitiven Gehalt hin überprüft. Klar, verständlich und nachvollziehbar.

Ist Iphigenie denn ein Opfer?

Dušan David Pařízek: Wenn man das Stück nur als Untersuchung politischer und/oder männlicher Willkür liest: ja. Wenn man sich aber auch auf das Abstruse der hier von Männern über Frauen geführten Diskussionen konzentriert: nein. Soziopathische Krüppel theoretisieren darüber, wie sie irrwitzige Forderungen rechtfertigen können. Und eine junge Frau findet im Fanatismus ganz pragmatisch eine Antwort: Wenn es ohne Opfertod nicht geht, muss Blut fließen. Auch wenn es ihres ist.

Welche aktuellen Parallelen gibt es?

Dušan David Pařízek: Die Fragen: Wieviel Barbarei ist nötig, um Schande und Erniedrigung durch Barbaren zu begegnen? Wo beginnt Wildnis, wo endet Zivilisation? Wir leben in einer Zeit, in der sich die Realität um uns herum rasend schnell verändert. Nach Jahrzehnten der relativen Ruhe holen uns die Krisen allmählich wieder ein. Gewalt ereignet sich nicht mehr in anderen Welten, sondern wird wieder zum Teil der unsrigen.

Wie wirst du mit dem Stücktext umgehen?

Dušan David Pařízek: Vielleicht hilft uns Elfriede Jelinek. Sätze wie: „Verrecken, wer will das schon?“ kommen mir in den Sinn – oder: „Der Wind, der blöde Wind schweigt, er will Schreie haben, damit er sie weitergeben kann, und deshalb ist er jetzt still, damit er was hört, wenns losgeht…“

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  • Dauer: 2h, keine Pause
  • Premiere: 16.03.2018
  • Sprache: Deutsch mit englischen Übertiteln
Video-Trailer: Iphigenie
Alle Beteiligten
Rollenbesetzung
Pressestimmen

Ein sehr tiefgründiger und bitterkomischer Abend.
WDR 5 Scala, Dorothea Marcus

Das Ensemble läuft, wendig, gewitzt und temperamentvoll, zur Hochform auf.
FAZ, Andreas Rossmann

In Bochum synthetisieren sich – intelligent verspielt und ausforschend – die Körper, die Texte, die Konflikte (von Troja bis zum Balkankrieg) und ihre emotionalen Haltungen und Haltungsschäden. Was will frau / man mehr!
nachtkritik.de, Andreas Wilink

Mehr Pressestimmen

Zwei Stunden lang oszilliert der starke Abend zwischen satirischen Sprachübungen und todernstem Moralkonflikt, zwischen der Ideologiekritik und feiner Psychologie. Die sechs fabelhaften Darsteller geben schon physisch alles, immer wieder absolvieren sie allerlei Leibesübungen. Der Inszenierung gelingt es tatsächlich, die Kluft zur mehr als 2000 Jahre alten Tragödie zu überbrücken und Muster zu zeigen, wie man Gewalt und Blutvergießen rechtfertigt. Großer Applaus.
Westfälischer Anzeiger , Ralf Stiftel

Die Aufführung unternimmt eine Suchbewegung des Sich-Annäherns und Entfernens, Auflösens und Befestigens gegenüber Text und Figur. Ein vexatorisches Kriegs-Spiel mit Vorstoß und Rückzug, Ausweich- und Ablenkungsmanöver, Offensive, Ausfällen und Finten. Alle sechs bravourösen Darsteller*innen verdienen dafür das Goldene Sportabzeichen. Geschlechter-Rollen bleiben ohne festen Umriss. Die ,Todsünde’ Familie verliert an eindeutiger Zuschreibung. Neue Kampflinien ziehen sich ein. Das Elternpaar Agamemnon und Klytaimnestra, wird von einer ,Persona’ – von Jele Brückner mit intensiver, inniger Leidenschaft – verkörpert, so dass die weiblich-männliche Spaltung zur Einheit und beim Streitfall um Staatsräson und Gewissen in die monologische Ich-Krise geführt ist. 
nachtkritik.de , Andreas Wilink

Es gibt viele ironische Brechungen in dieser Aufführung, doch immer wieder macht das grandiose Bochumer Ensemble ansatzlos Ernst.
Westfalenspiegel , Stefan Keim

Hervorragend gelingt die Verzahnung mit Ausschnitten aus Elfride Jelineks „Sportstück“. Da wird aus einem Klassiker ein heutiges, boshaft ironisches Nachdenken über Heldentum und Perversion, über Sport und Mord. Ein großer Abend.
Westfalenspiegel , Stefan Keim

Jele Brückner als Agamemnon und Klytaimnestra, Svetlana Belesova als Menelaos und Iphigenie zugleich, Bernd Rademacher als Muse Polyhymnia und wiederum Klytaimnestra; außerdem Anne Rietmeijer als Michelin-Männchen-mäßiger Achill und Konstantin Bühler als Muse Erato: Sie alle sind schlicht grandios zu nennen.
literaturundfeuilleton , Helge Kreisköther