Text

Wenn der Schauspieler Nicholas Ofczarek und die Musicbanda Franui Thomas Bernhards Roman Holzfällen auf die Bühne bringen, soll ein eigenes Format entstehen: Der Abend soll keine Lesung und kein Musiktheater sein, keine Theaterauffühunrg und kein Hörspiel – und doch von allem etwas haben.

Holzfällen ist wie geschaffen für genau diese Interpreten-Konstellation: Der Ich-Erzähler beobachtet bekanntlich über Dutzende Seiten hinweg aus der Distanz seines Ohrensessels eine „künstlerisch“ apostrophierte Abendgesellschaft in der Wiener Gentzgasse, die auf die angekündigte Ankunft eines Burgschauspielers wartet. Die meisten Personen dieser Gesellschaft sind zudem miteinander verbunden, da ihre durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene gemeinsame Freundin Joana am Nachmittag desselben Tages in der Ortschaft Kilb zu Grabe getragen wurde.

So wird auch Nikolaus Ofczarek in der Nähe oder inmitten der Musicbanda auf einem Ohrensessel sitzen und Bernhards Sätze sprechen, währenddessen die Musicbanda mit einer Spezialität zu hören sein wird, die sie bekannt gemacht hat: dem Zelebrieren von Trauermärschen und Trauermusik.

Eine Reihe weiterer Themen soll im weiteren Verlauf des Abends das Publikum erheitern oder erschüttern – jenachdem:

Holzfällen ist ein Buch über das Schauspiel und das Burgtheater.
Bernhards Schimpftiraden gegen Institutionen und einzelne Protagonisten der Theaterwelt sind Legende, vorgetragen von Nicholas Ofczarek und begleitet von den Franui’schen Klängen aus Holz- und Blechbläsern, Streichern und Volksmusik-Saiteninstrumenten wie Hackbrett, Harfe und Zither werden sie neu kontextualisiert und gehört.

Holzfällen ist ein Buch über die Rivalität zwischen Stadt und Land bzw. Provinz und Metropole.
Das Kaff Kilb und das Stadtpalais in der Gentzgasse im 18. Wiener Bezirk sind zwei divergierende Welten, die sich in Österreich seit eh und je gegenüberstehen und bis heute identitätsstiftend wirken. Schon allein die Bühnensituation – Burgschauspieler und Osttiroler Musicbanda – steht sinnbildlich dafür.

Holzfällen ist ein Buch über die Musik und das Künstlertum.
Der in der Webern-Nachfolge stehende Komponist Auersberger ist der Gastgeber und der Ich-Erzähler zerlegt dessen künstlerische Idee Seite um Seite in ihre Bestandteile. Dabei blitzen Sätze auf, die bis heute auf der Suche nach wesentlicher Kunst als Kompass dienen können.

Holzfällen ist ein Buch über die Wiener Gesellschaft, wie sie bis heute leibt und lebt. Nicht zuletzt berührt das Schicksal der engen Freundin des Erzählers, der tragisch gescheiterten Künstlerin Joana, die stellvertretend für viele österreichische Lebensverläufe stehen mag:

„Die Landmädchen streben schon, sobald sie denken können, nach Wien, in die Hauptstadt, dachte ich auf dem Ohrensessel, das hat sich bis heute nicht geändert, die Joana mußte nach Wien, denn sie wollte unter allen Umständen Karriere machen. Sie hatte es nicht erwarten können, eines Tages für immer sozusagen den Zug nach Wien zu besteigen. Aber Wien hat ihr mehr Unglück als Glück gebracht, dachte ich auf dem Ohrensessel. Die jungen Leute brechen auf in die Hauptstadt und verunglücken im wahrsten Sinne des Wortes da, wo sie sich alles erhofft hatten, an der Widerwärtigkeit der Gesellschaft, an der Rücksichtslosigkeit der Gesellschaft, an der eigenen Natur, die der menschenfressenden Großstadt Wien meistens nicht gewachsen ist.“

more less

Information about the piece

  • Nicholas Ofczarek & Musicbanda Franui: Holzfällen
  • by Thomas Bernhard
  • Place:

Performances

Sun.09.03
guest performance
19:00
Schauspielhaus

Images