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→ Eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2023
Und jeden Tag von Neuem muss Tee serviert werden, aufgeräumt, gekocht, irgendetwas repariert. Jeden Tag muss man springen, wenn nach einem gerufen wird. Und immer der Gestank aus dem privaten Labor des Familienoberhaupts, das glaubt, es könne neue organische Materie entwickeln. Mit Geld umgehen können sie auch alle nicht. Das Schlimmste aber: Ständig darf man den Nichtstuern, die sich mit ihren Liebesverwicklungen, ihrer Malerei und naturwissenschaftlichem Dilettantismus die Langeweile vertreiben, dabei zuhören, wie sie dem primitiven Zustand der Masse abhelfen wollen …
Vielleicht denken sie so, die Angestellten im Hause Protassow, ohne die hier gar nichts funktionieren würde. Der Wissenschaftler Protassow kann sich nicht mit profanen Dingen wie dem Alltag beschäftigen. Er will den Fortschritt herbeiführen, chemikalisch und gedanklich. Nicht weniger als der endgültig befreiten Menschheit gilt all sein Wirken. So hat er weder ein Auge für die Witwe Melanija, die in verzweifelter Liebe zu ihm entbrannt ist, noch – und das ist schlimmer – für seine Frau, die sich einsam dem gemeinsamen Freund Wagin zuwendet. Auch die zarten Zeichen von Liebe zwischen seiner Schwester Lisa, die vom Anblick blutig niedergeschlagener Straßenunruhen seit Langem schwer traumatisiert ist, und dem moralisch derangierten Tierarzt Tschepurnoi entgehen ihm – ebenso wie die Katastrophe, die sich zwischen beiden anbahnt. Doch auf den Straßen grassiert die Cholera, es gibt Tote, und plötzlich wird die Luft im Elfenbeinturm gefährlich dünn.
Der Autor Maxim Gorki – ein Pseudonym, das übersetzt „der Bittere“ bedeutet – schrieb das Stück während seiner Haft in der Peter-und-Paul-Festung, in der u. a. auch Dostojewski einsaß. Entstanden angesichts des sogenannten Petersburger Blutsonntags, der die russische Revolution von 1905 einleiten sollte, entwirft Kinder der Sonne die tragikomische Bestandsaufnahme einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft, die sich neu erfinden muss, wenn ihre Tage nicht gezählt sein sollen.
Die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik, die für ihre psychologisch genauen, atmosphärisch dichten Inszenierungen nicht nur im deutschsprachigen Theaterraum bekannt ist, stellt sich mit Kinder der Sonne nun dem Bochumer Publikum vor.
Audio Inhalte
Informationen zum Stück
- Kinder der Sonne
- von Maxim Gorki
- Deutsch von Ulrike Zemme
- Regie: Mateja Koležnik
- Mit: Anna Blomeier, Jele Brückner, Konstantin Bühler, Guy Clemens, Dominik Dos-Reis, Victor IJdens, Michael Lippold, Christoph Lux, Emily Lück, Karin Moog, Christian Paul, Anne Rietmeijer, Alexander Wertmann, Amelie Willberg
- Dauer: 1:50, keine Pause
- Premiere: 07.10.2022
- Sprache: DE
Informationen zu den Vorstellungen
Die letzte Vorstellung fand am 21.04.2024 statt.
Video Inhalte
Beteiligte
- Regie: Mateja Koležnik
- Regie: Mateja Koležnik
- Bühne: Raimund Orfeo Voigt
- Kostüm: Ana Savić-Gecan
- Soundtrack: Lukas Tobiassen
- Klanggestaltung: Jordy Zoet
- Lichtdesign: Bernd Felder
- Dramaturgie: Angela Obst
- Regieassistenz: Linda Hecker
- Bühnenbildassistenz: Lan Anh Pham
- Kostümassistenz: Lara Suppe
- Dramaturgieassistenz: Marvin L. T. Müller
- Soufflage: Dr. Arian Schill
- Inspizienz: Christiane Dolnik
- Regiehospitanz: Leonie Wendt / Ameli Uszball
- Übertitelinspizienz: Jonas Kissel / Henry Klur
- Pawel Fjodorowitsch Protassow: Guy Clemens
- Lisa: Anne Rietmeijer
- Jelena Nikolajewna: Anna Blomeier
- Dmitri Sergejewitsch Wagin: Victor IJdens
- Boris Nikolajewitsch Tschepurnoi: Dominik Dos-Reis
- Melanija: Jele Brückner
- Nasar Awdejewitsch: Konstantin Bühler
- Jegor: Michael Lippold
- Antonowna: Karin Moog
- Roman: Alexander Wertmann
- Fima: Amelie Willberg
- Luscha: Emily Lück
- Der Mob: Christoph Lux, Christian Paul
Bilder
Pressestimmen
Das Casting ist so perfekt, dass geradezu jede einzelne Rolle noch einen Tick besser, dynamischer oder raffinierter besetzt ist, als man es sich beim Lesen vorstellt. Und das kriegt natürlich nicht jedes Theater hin.
nachtkritik.de, Martin Krumbholz
Mateja Koleznik aus Slowenien ist für ihre psychologisch präzisen Inszenierungen bekannt. In Bochum gelingt ihr ein atmosphärisch feinsinnig entwickeltes Gesellschaftsstück, das nicht in Figurentableaus schwelgt, sondern jede einzelne Rolle beleuchtet, um die persönliche Dimension politischer Veränderungen spürbar zu machen.
Westfälischer Anzeiger, Achim Lettmann
Beglückende Rückbesinnung auf große Theatertugenden.
Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Lars von der Gönna
Opulent inszeniert, äußerst treffend besetzt, überzeugend gespielt – ein fesselnder Abend.
theater:pur
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Antje van Bürck
Eine präsente Gesellschaftskomödie, die viele aktuelle Fragen nebenbei stellt.
Ruhr Nachrichten
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Tom Thelen
Was für ein eindrücklicher Abend! Was für eine grandiose Inszenierung! Welch ein wundervolles Ensemble!
FeuilletonFrankfurt
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Simone Hamm