Die Belgierin Viviane De Muynck ist die Grande Dame des europäischen Theaters. Seit mehr als 40 Jahren steht sie auf der Bühne, feierte Welterfolge mit der Needcompany (Isabella’s Room) und spielte in unzähligen Ländern rund um den Globus. In Das neue Leben – where do we go from here verkörpert sie Beatrice, die berühmte Frau im literarischen Kosmos von Dante Alighieri. Im Gespräch mit Vasco Boenisch erzählt sie vom schönsten und größten Gefühl auf Erden, von Verlust und verpassten Chancen, vom Theater und dem Leben – in all seinen Schattierungen

Viviane, darf ich dir mit deiner großen Lebenserfahrung gleich mal die riesige Menschheitsfrage stellen: Was ist die Liebe?
Viviane De Muynck: Ja, was ist die Liebe? Ich selbst hatte damit in meinen Leben nicht sehr viel zu tun. Ich war verheiratet, und nachdem mein Mann verstorben war, hatte ich nie wieder eine Liebesbeziehung. Ich habe mich nur noch in Männer verliebt, die nicht in mich verliebt waren.

Aber du weißt, was Liebe ist.
Liebe an sich ist ein großes Gefühl. Ein warmes Gefühl. Aber wenn man älter wird, geht es eher um kleine Liebesmomente. Man weiß, dass große Leidenschaft einen verbrennen kann wie ein Feuer. Und dass die größte Liebe – so kommt es auch in unserer Inszenierung vor – eigentlich unerfüllt bleiben muss. Große Leidenschaft macht einen auch verrückt.

Das heißt, Liebe ändert sich mit dem Alter?
Die große Liebe, bei der man alles vergisst, diese Romeo-und-Julia-Liebe, die Hoffnung und der Glaube daran, dass eine andere Person einen vollständig macht – das gehört zur Jugend. An einem gewissen Punkt im Leben fühlt man sich vielleicht noch zu jemandem hingezogen, doch das hat nicht mehr die Frechheit der Jugend, wenn man nur auf eine Person konzentriert ist und denkt: Das ist für mich die Welt. Später hat man gelernt, wie schwierig die Liebe ist. Dass sie auch Arbeit ist.

Liebe macht Arbeit.
In der Liebe muss man Vertrauen haben, sich geboren und geschützt fühlen. Und man muss sehr viel Ehrlichkeit und Interesse dem Anderen gegenüber aufbringen. Das ist ein langer Weg. Man muss akzeptieren, dass die andere Person nicht perfekt ist. Man ist selbst auch nicht perfekt, aber das sieht man nicht immer.

Das ist der Unterschied zwischen gelebter Liebe und idealisierter Liebe. Wie in unserer Inszenierung.
Wenn man verliebt ist, idealisiert man diese Person. Man glaubt, sie sei größer und weiser und innerlich reicher, als sie in Wirklichkeit ist. Das ist die Idealisierung der Liebe. Eine gelebte Liebe ist eine Liebe, die wächst. Man kommt zusammen, und dann entsteht etwas Anderes – wenn man sich die Zeit dazu nimmt. Deswegen nenne ich diese Liebe Arbeit. Die Umstände des Lebens ändern sich, und damit muss man umgehen, auch in der Liebe.

Wie bist du damit umgegangen, als die Liebe deines Lebens verstarb?
Wenn einem der Partner genommen wird, dann idealisiert man diesen Menschen. Das habe ich gemacht. Ich habe meinen Mann nach seinem Tod noch mehr idealisiert als zuvor. Wenn ich später jemandem begegnet bin und dachte, vielleicht könnte daraus eine neue Liebe entstehen, habe ich immer an meinen Mann gedacht und die gleichen Eigenschaften gesucht.

Welche Eigenschaften waren das?
Ein Mann muss für mich Humor haben. Stark sein, ja, aber viel Humor haben. Und das haben nicht alle Männer, die gleichzeitig sehr selbstständig sind. Mein Mann war ein solcher selbstständiger Mensch, ein sehr sozialer und hilfsbereiter Mensch. Deswegen wurde er auch von vielen sehr geliebt und bewundert.

Hat dir das Idealisieren deines Mannes Kraft gegeben, oder war es eher hinderlich?
Nein, das hat mir Kraft gegeben. Denn ich war nicht mehr die 23-Jährige, die ich war, als wir uns kennen lernten, ich hatte zu viel erlebt. Ich hatte zu viel Tod gesehen. Ich hatte das schwere Sterben meines kranken Mannes mitgemacht. Ich hatte gesehen, wie ein starker Mensch sich verwandelte in ein Wesen, das keine Kraft mehr hatte. Und dennoch hatte er immer noch große Liebe für mich in sich. Das mitzuerleben, hatte mich verändert, und mit dieser Erfahrung wollte ich abschließen. Ich wollte meinen Mann in schöner Erinnerung behalten.

Du warst noch jung, als er verstarb.
Ich war 30 Jahre alt. Und ich hatte unser Kind großzuziehen.

Wie hast du den Verlust überwunden?
Zu dem Zeitpunkt kam ich verstärkt mit Theater in Berührung, und das war meine Rettung. Denn ich konnte mich auf etwas anderes konzentrieren. Und das Theater ist ein sehr leidenschaftlicher und sehr fordernder Liebhaber. Ja, vielleicht habe ich mich deshalb so sehr auf das Theater konzentriert. Ein Großteil meines Lebens ist virtuell verlaufen. Es sind die verschiedenen Rollen, die ich gespielt habe.

Dazwischen war kein Raum mehr für eine neue Liebe?
Ich war einmal sehr verliebt, als ich 50 oder 51 war, in einen Schauspieler aus Frankreich, mit dem ich Macbeth probte. Wir saßen immer zusammen, vor der Probe, nach der Probe, und meine Freunde fragten schon: „Sag mal, was ist das mit euch?“ „Ich weiß es nicht“, sagte ich. „Na, dann musst du mal fragen.“ Und dann war ich so blöd, an einem Ort in Marseille, ich werde es nie vergessen, ihn zu fragen: „Warum verbringen wir eigentlich so viel Zeit miteinander?“ Und er antwortete: „Du bist eine sehr warmherzige und gute Freundin. Aber du regst in mir keine Leidenschaft.“ Das war hart. Da dachte ich: Strich drunter. – Heute sind wir gut befreundet.

Das ist ja genau die Situation, vor der sich Dante fürchtet, weshalb er seine Liebesgedichte an Beatrice nicht abschickt, weshalb er ihr seine Liebe nicht gesteht: aus Angst, zurückgewiesen zu werden.
Ja, das kann ich verstehen. Viele Menschen trauen sich nicht, ihre Gefühle zu gestehen, aus Furcht davor, dass sie eine Abfuhr erhalten. So wird die Liebe zu einer Person zu einem Denkmal. Hinterher ist man immer klüger.

Hättest du es vorher wissen können, bevor du gefragt hast?
Nein, dafür war ich zu verliebt.

Damals hast du dir ein Herz genommen und die Chance ergriffen – leider vergebens. Es geht aber auch andersherum: dass man eine Chance verpasst, weil man etwas nicht tut. Ist dir das schon einmal passiert?
Mir ist es schon passiert, dass mir jemand sagte: „Aber weißt du denn nicht, dieser Mann, damals, er hatte dich so gern.“ Und ich hatte es nicht gemerkt. Zu spät.

Konntest du etwas daraus lernen?
Man geht zu oft mit Scheuklappen durchs Leben. Dabei muss man offen sein. Nur: Offen zu sein, bedeutet eben auch, verletzbar zu sein. Das ist eben diese Angst: verletzt zu werden. Dass man am Ende doch als eine fremde, alte Frau gesehen wird. Obwohl ich an sich nicht ängstlich bin. Aber ich bin scheu. Meine Persona ist größer als meine Person.

Wie meinst du das?
Wenn ich irgendwo hinkomme, meist trage ich auch noch einen Hut, dann tritt meine Persona auf: Ta-da. Aber meine Person ist kleiner. Innerlicher. Nicht so schauspielerisch. Für den Auftritt muss ich meine Energie und auch meine Arroganz aufbauen, damit ich dastehen und sagen kann: So macht man das, so mache ich das, und das ist jetzt meines. Das dauert eine Weile, bis ich das aufgebaut habe, um in der Öffentlichkeit zu stehen. Wenn ich die Bühne verlasse, bin ich wieder ich.

Fällt es mit mehr Lebenserfahrung leichter, darüber hinwegzukommen, dass man eine Chance verpasst hat?
Ja. Man muss es akzeptieren.

Das sagst du so einfach.
Mit dem Alter fällt das leichter. Man hat mehr mitgemacht. Sowohl im Freundes- und Familienkreis, als auch im Weltgeschehen. Wenn man miterlebt hat, wie anderen Menschen großes persönliches Leid geschieht, wenn man gesehen hat, was Menschen in anderen Ländern passiert, zum Beispiel jetzt den Menschen in Kabul, ja, wer bin ich dann zu klagen. Mit dem Alter entwickelt man ein Gefühl für Maßstäbe.

Wirst du eigentlich häufig um Rat gefragt?
Ja. Sehr häufig. Und manchmal denke ich: Gott, ich bin doch nicht das Orakel von Delphi! Es ist wirklich verblüffend. Man kann mich irgendwo auf eine Bank setzen – ob in Chile oder Korea oder China oder sonst wo –, und Leute fangen an, mit mir zu reden. Reden über ihr Leben und fragen mich. Mal fragen sie mich nur nach dem Weg, wie ein Chinese in Peking, als ob ich so aussähe, als würde ich mich dort auskennen, und manchmal auch sehr persönliche Dinge. Und meine Freunde rufen auch häufig an, zum Beispiel wenn sie Sorgen mit ihren Kindern haben, oder meine Familie bei Problemen. Von Zeit zu Zeit ist das schwer. Ich sage von dann: Der Brunnen ist leer. Der Brunnen kann sich selbst nicht füllen, er muss von draußen gefüllt werden. Viele Menschen denken, ich sei ein Fels. Sie sind dann verwundert, wenn ich sage, ich kann jetzt nicht, ich habe gerade zu viele Dinge im Kopf, auch eigene Probleme, ich muss erst einmal meine Gedanken sortieren und kann nicht schon wieder die Verantwortung tragen, jemandem etwas zu raten.

Dass du tatsächlich privat so oft um Rat gefragt wirst, wussten wir natürlich nicht, als wir dich fragten, ob du in dieser Inszenierung Beatrice verkörpern möchtest. Wie ist dein Verhältnis zu deinen Mitspieler*innen, die bis zu 47 Jahre jünger sind als du?
Ihnen muss ich keinen Rat geben. Sie haben ihre eigene Art und ihre eigene Struktur zu arbeiten. Ich kann nur zuschauen und denken: Was sind sie gut.

Ist die Bezeichnung „Mutter“ hierfür passend? Dante selbst vergleicht Beatrices Verhalten ihm gegenüber ja, unter anderem, mit dem einer Mutter.
Ich wäre gern eine exzentrische, alte, weise Frau, vielleicht eine Art Schamanin. Ich denke, ich bin auf dem Weg. Schamanin ist vielleicht nicht das richtige Wort. Vielleicht ein Vergil, wie bei Dante, ein Guide, ein Begleiter in der Entwicklung Anderer. Aber ich habe nicht das große Wissen. Auch wenn man das vielleicht denkt.

Gibt es etwas, was du von den Jüngeren lernen kannst?
Mich beeindruckt, wie entspannt sie bleiben, selbst wenn im Verlauf der Proben schwierige Situationen eintreten. Sie lassen sich nicht stressen, sie gehen weiter mit ihrer Suche und ihren Entdeckungen. Und manchmal schaue ich ihnen auf der Bühne zu und denke: Mann, ist das gut, Mann, ist das gut! Und verpasse darüber meinen Einsatz.

Du hast die Gedichte Vier Quartette von T.S. Eliot mit in die Produktion gebracht, und Beatrice leiht sich nun gewissermaßen ein paar Sätze daraus. Eliot findet Worte für die Welt, wie sie im Geist des Menschen überliefert ist und in den vier Jahreszeiten und den vier Elementen Luft, Erde, Wasser, Feuer sinnlich fassbar wird. Was verbindest du mit diesen Gedichten?
Ich nenne sie meine Bibel. Sie sind – neben Molly Bloom von James Joyce, was ich nun endlich als Monolog spielen darf, nachdem die Rechte hieran frei geworden sind – der Text, den ich in meinem Leben unbedingt einmal auf einer Bühne sprechen möchte. Und das wird dann auch das Letzte sein, was ich auf der Bühne mache.

Was fasziniert dich daran?
Der Kreislauf des Lebens. Die Suche danach, wie der Zirkel perfekt wird. Jeder Vers von Eliot ist eine Entdeckung einer bestimmten Periode im Leben. Die Suche nach der Bedeutung des Lebens. Warum sind wir hier? Wie machen wir diese Reise?

Und, wie machen wir sie?
So, wie es bei Eliot am Ende heißt: Alte Menschen sollen Entdecker werden. Wenn man die Reise vollendet hat, kommt man wieder nach Hause und sieht den Ort zum ersten Mal. So ist das Leben. Man handelt, macht gewisse Dinge, macht gewisse Dinge nicht, und dann kommt man an einen Punkt der Rückschau, sieht sich um und findet: Die Sonne scheint, die Welt ist gut. Es geht um Kleinigkeiten. Es geht nicht immer um die großen Dinge. Man muss auch einmal einen Schritt zurücktreten und die kleinen Dinge betrachten. Um daraus zu lernen. Ich lerne auch von meinen Kolleginnen und Kollegen. Ich lerne von den Leuten, die mir Fragen stellen. Ich lerne von den Reaktionen des Publikums.

Kannst du hierfür ein Beispiel geben?
Als wir 2004 mit der Needcompany und Isabella’s Room in Avignon Premiere hatten (im Mittelpunkt dieser legendären Aufführung steht die 90-jährige, erblindete Isabella, die ihr ausschweifendes Leben Revue passieren lässt und dabei die Toten zum Leben erweckt, gespielt von der damals 58-jährigen Viviane De Muynck, Anm.), da war diese Produktion ein so großer Erfolg, dass ich überall angesprochen wurde, Menschen kamen zu mir, um mich einmal an der Schulter zu berühren, ich fühlte mich wie ein Rockstar, Männer sprangen vom Tisch im Restaurant auf, wenn ich auf der Straße lief, rannten zu mir, umarmten mich und riefen: „Isabella, ich liebe dich!“ Aber was mich wirklich bewegte, das war, als eine junge Frau mir weinend in die Arme fiel und sagte: „Du hast mir die Angst genommen, alt zu werden.“ Das ist für mich noch immer das größte Kompliment, das ich je erhalten habe.

Hattest du je Angst vor dem Altern, oder hast du Angst vor dem Tod?
Nein. Wenn der Tod kommt, und er wird kommen, werde ich ihn als einen Freund begrüßen und denken: Jetzt ist alles Ruhe.

Ehrlich?
Natürlich habe ich Angst, vorher krank zu werden und lange zu leiden. Aber diese Angst haben alle. Doch vom Tod selbst weiß man, dass er kommen wird. Nur nicht, wie. Ich glaube, ich würde gern wie Tommy Cooper sterben, der legendäre britische Komiker. Mitten in einem Auftritt in London hatte er einen Herzinfarkt, was aber niemand bemerkte. Man dachte, er legt einen grandios komischen Auftritt hin, als er sich an den Vorhang klammerte, die Leute brüllten vor Lachen. Bis ein Bühnentechniker doch entschied, den Vorhang zu schließen, und man dann sah: Tommy Cooper war tot. So ein Ende, das wäre doch was.

Mit T.S. Eliot auf den Lippen.
Ja, mit T.S. Eliot auf den Lippen. (lacht)

Du hast Molly Bloom angesprochen, die Selbstermächtigung einer von ihrem Mann betrogenen, aber auch ihn betrügenden Frau. Bei Dante ist Beatrice eine Frau, die es zwar irgendwie gegeben hat, die aber vor allem eine Projektionsfläche für seine Dichtung ist. Was bedeutet es dir, dieser Figur eine Stimme zu geben?
Viel! Mir gefällt an unserer Inszenierung, dass sie offen ist. Dass es keine fest vorgegebenen Rollen gibt. Sondern dass man erfinden muss, was man sagt, wie man es sagt, was man tut. Das finde ich besonders. Wenn ihr mich gefragt hättet, ob ich Drei Schwestern spielen will, da hätte ich gedacht: Ok, ich kann eine Organza-Bluse anziehen und rufen: „Nach Moskau! Nach Moskau!“ Aber das interessiert mich nicht. Das hat vielleicht mit dem Alter zu tun. Seien wir ehrlich, für Frauen in einem bestimmten Alter gibt es kaum noch Rollen, zumindest in der klassischen Dramatik. Was könnte ich da noch spielen? Für mich sind deshalb Produktionen interessant, die von einer Welt erzählen statt einer bestimmten Handlung. So empfinde ich es auch hier mit Beatrice.

Denn eigentlich handelt die Inszenierung nicht von Dante und Beatrice. Sondern – wovon? Deiner Meinung nach.
Ich denke, vom Abschiednehmen von Träumen. Von der Einsicht, dass Sehnsucht die persönliche Entwicklung auch einschränken kann. Sie ist zwar wichtig, aber man muss sich davon verabschieden können, weil die Realität der Sehnsucht im Weg stehen kann. Wie Christopher (Rüping, der Regisseur, Anm.) es im Text formuliert hat: „Es war, was es war. Leben mit dem, was ist. Aushalten, dass nicht geworden ist, was nicht war.“ Man kann nicht immer seinen Träumen nachjagen. An einem gewissen Moment muss man erkennen: Es geht nicht. Es hat nicht stattgefunden. – Und dann kommt die Trauer. – Und danach hoffentlich der Trost.

Für mich ist es sehr tröstlich, wie am Ende der Inszenierung Begegnungen stattfinden, zwischen dir und den vier jungen Menschen. Die Dinge, auch die schlimmen, werden beim Namen genannt. Das hilft auch. Und im größten Schmerz kann man gemeinsam nach vorn blicken auf etwas kleines Schönes. Und neu beginnen. Das hat in all seiner Einfachheit etwas sehr Tröstendes. Dich am Ende stehen zu sehen zwischen den Anderen, mir dein Leben vorzustellen, mit allen Ups und Downs, und dann kurz an mein eigenes Leben zu denken, das berührt mich sehr und gibt mir Trost.
Ich finde es auch gut, dass man die Inszenierung so interpretieren kann, dass der Tod und der Verlust etwas mit unserer Corona-Zeit zu tun haben. Ohne dass es eine Corona-Vorstellung ist. Aber die Gefühle sind uns vertraut. Und der Wunsch, da raus zu kommen. Deswegen finde ich den Trost wichtig. Dass die Menschen berührt werden, aber dass man sie nicht runterzieht.

Wir haben unser Gespräch mit der Liebe begonnen. Der Liebe, die die ganze Inszenierung durchzieht, so wie das Leben. Welche Liebe gibt es heute noch in deinem Leben?
Man braucht Liebe im Leben. Liebe ist notwendig. Auch wenn es nur die kleine Liebe zu Freunden ist. Ich nenne das auch Liebe. Ich habe immer das Gefühl, dass ich die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, auch liebe. Ich bewundere sie, und ich liebe sie. Und dann ist es immer schmerzhaft, wenn es vorbei ist. Wenn sich die Wege scheiden. Das muss man akzeptieren. Die Reise mit meinen Kolleginnen und Kollegen, ich nenne sie meine Gesellen, ist wichtiger, als dass man irgendwo ankommt. Der Weg dorthin ist wichtig, und er mündet in etwas Besonderes.

 

Viviane De Muynck, geboren 1946 in Mortsel (Belgien), studierte Schauspiel am Konservatorium in Brüssel und war ab 1980 Mitglied verschiedener niederländischer und belgischer Theatergruppen und Ensembles; sie ist vor allem bekannt als eine der maßgeblichen Schauspielerinnen der Needcompany und gilt als Grande Dame des europäischen Theaters. 1987 erhielt sie für die Rolle der Martha in Sam Bogaerts Inszenierung von Wer hat Angst vor Virginia Woolf? den niederländischen Theaterpreis Theo d’Or. Beim Filmfest in Gent wurde ihr 2016 der Actor’s Guild Career Prize verliehen. Beim Filmfestival in Ostende erhielt sie 2017 den Lifetime Achievement Award. 2018 erhielt sie von der flämischen Regierung die Auszeichnung Ultima für Allgemeine Kulturelle Verdienste.

Vasco Boenisch, Jahrgang 1980, ist Chefdramaturg des Schauspielhaus Bochum und Produktionsdramaturg der Inszenierung Das neue Leben in der Regie von Christopher Rüping.

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Foto und Interview: Vasco Boenisch