Text
SENSEFACTORY ist eine spektakuläre und großformatige performative Installation, die Architektur, Sound, Geruch, Licht und KI-Technologie zu einem umfassenden multi-sensorischen Erlebnis vereint: Ein riesiger begehbarer Raum, den man sehen und hören, fühlen, schmecken und riechen kann, transformiert sich fortwährend vor den Augen den Besucher*innen – Mauern bauen sich auf und versperren den Weg, um dann wieder zu fallen …
In den 1920er-Jahren hat der ungarisch-US-amerikanische Künstler László Moholy-Nagy sich mit dem Bauhaus eine neue Art des Theaters für die Sinne ausgemalt. In einer "Mechanischen Exzentrik", wie er es genannt hat, sollten Maschine und Organismus zusammengebracht werden. 100 Jahre später, im Jubiläumsjahr des Bauhaus, wird diese utopische Vision nun in einer Jetztzeit-Version erfahrbar, die neueste technologische Entwicklungen miteinander kombiniert.
Von einem internationalen Team aus Künstlern, Architekten, Designern und Programmierern geschaffen, schickt SENSEFACTORY das Publikum auf eine multisensorische Reise – die kolossale, bewegliche, pneumatische Architekturlandschaft verändert dabei fortwährend Verhalten und Form.
Das Bauhaus strebte ein neues Verhältnis von Menschen und Maschinen an – ein Theater, in dem Publikum wie Darstellende in einen neuartigen, dynamisch-rhythmischen Gestaltungsvorgang eingebracht werden sollten. Hundert Jahre später sind wir im täglichen Leben ständig von totaler Medienpräsenz umgeben, Geräten, die uns unaufhörlich abchecken, beobachten, überwachen und formen.
SENSEFACTORY führt diesen radikalen Grundzustand des heutigen Lebens vor und hinterfragt ihn gleichzeitig – es ist ein Ereignis, das zwischen akut sinnlicher Erfahrung und meditativer Reflexion oszilliert, zwischen körperlicher Euphorie und nervösem Unbehagen.
DIE ERFAHRUNG
SENSEFACTORY stürzt das Publikum in eine immersive, die Sinne intensiv ansprechende Erfahrung. Die Besucher*innen treten eine Reise an, auf der sie sich durch eine halluzinogene, sich ständig verwandelnde Landschaft aus Licht, Vibrationen, Klang, Geruch, Farben und variabler Architektur bewegen. Die Installation mit ihren Aktionen, Mustern und Rhythmen wird von Algorithmen künstlicher Intelligenz gesteuert.
Während die Besucher*innen darauf warten, die Performance zu betreten, hören sie in der Ferne bereits eine sich wandelnde Klanglandschaft, die eine ganze Welt hinter der Zwischenwand erahnen lässt. Die Spannung auf das zu Entdeckende wächst. Die Besucher*innen betreten eine Welt, die fremd, außerirdisch wirkt.
In Vibrationen, Klänge und Licht gebadet, kommen sie in eine ganz anders gestaltete Zone, die von großen, pneumatischen Strukturen beherrscht wird. Sie scheinen das Publikum zur Interaktion mit ihnen einzuladen. Strukturen, die nicht statisch bleiben, sondern sich zu bewegen beginnen ...
Die Besuchererfahrung ist von Immersion und Unbeständigkeit geprägt. In dieser sich ständig wandelnden Umgebung gibt es nichts, woran man sich festhalten kann, außer der eigenen Wahrnehmung und Erfahrung. Moholy-Nagy schrieb: „Im heutigen Theater sind BÜHNE UND ZUSCHAUER zu sehr voneinander getrennt, zu sehr in Aktives und Passives geteilt, um schöpferisch Beziehungen und Spannungen zwischen den beiden zu erzeugen“ (Bauhausbücher 4). Diese Trennung gibt es in dieser performativen Installation nicht mehr – ein Betrachten der Erfahrung von außen wird unmöglich.
DER KONTEXT
Moholy-Nagys Vision eines „Theaters der Totalität“, die er in der wegweisenden Grafik der Partiturskizze zu einer mechanischen Exzentrik – Synthese von Form, Bewegung, Ton, Licht (Farbe) und Geruch und dem Beitrag Theater, Zirkus, Varieté im 1925 erschienenen Bauhausbücher 4 zum Ausdruck brachte, dient als Grundlage unserer Überlegungen, wie eine solche performative und interaktive Aktion heute aussehen könnte – eine die Sinne überwältigende Bühnenumgebung, in der sich jeder Begriff von Schauspieler bzw. Zuschauer im Ansturm der Medien auflöst. In SENSEFACTORY vereint sich die körperliche und sinnliche Wahrnehmung von Raum, Vibration, Geruch und Klang mit den digitalen Instrumentarien der heutigen Welt: Sensoren, Datenströme und Algorithmen, die unser soziales und kulturelles Leben immer stärker prägen. Die Autonomie, die Moholy-Nagy sich für seine mechanischen Maschinen wünschte, ist heutige Realität in den „Smart Environments“, in denen wir uns aufhalten und bewegen. Seine Vision vom Theater als einem Organismus hat ihren Ausdruck in den computergesteuerten unsichtbaren Maschinerien der gegenwärtigen Welt gefunden: Mustererkennung (Pattern Recognition), selbstfahrende Autos, Drohnen und lernfähige Maschinen.
Moholy-Nagys Vorstellung ist nicht virtuell, sondern zutiefst materiell und körperlich erfahrbar. Er spricht von Vibrationen, vom Verhalten des Lichts und der Klänge, von der Bewegung mechanischer und elektrischer „Körper“ im Raum und dem Verschmelzen von Sinneserfahrungen. Dabei ist die heutige Entsprechung des „Theaters der Totalität” nicht in der Virtual Reality zu finden, sondern findet in einer „Mixed Reality” statt – einer Mischung aus echter, mit Datenströmen angereicherter Welt, in der physische und digitale Objekte nebeneinander bestehen und live interagieren.
Mithilfe des Theaters strebte Moholy-Nagy ein radikales Neuverständnis des Menschen an. Zuschauer und Bühne sollten vereinigt werden – eine Utopie, an deren Verwirklichung nicht nur das Bauhaus arbeitete, sondern auch die Pioniere des Avantgarde-Theaters jener Zeit: Kiesler, El Lissitzky, Schwitters, Meyerhold, Piscator. Das menschliche Sensorium wird durch eine Bühnenumgebung rekonfiguriert, die das Publikum „auf der höchsten Stufe einer erlösenden Ekstase mit der Aktion der Bühne zusammenfließen lässt“ (Bauhausbücher 4).
Moholy-Nagys „tausendäugiger, mit allen modernen Verständigungs- und Verbindungsmitteln ausgerüsteter NEUER SPIELLEITER” inszeniert diese spektakuläre Sinneserfahrung. Dieser neue Spielleiter, der das Verhalten von Licht, Klang, Bild und anderen Medien kontrolliert, ist unsichtbar – alles wird von dem gesteuert, was in der Künstliche-Intelligenz-Forschung als Machine Learning („maschinelles Lernen“) bezeichnet wird. Machine Learning ist der Motor der gegenwärtigen Welt und Grundlage jeder Googlesuche, jedes Facebookprofils und jedes Netflix-Präferenzalgorithmus. In SENSEFACTORY wird Machine Learning nicht nur einfach eingesetzt, um bestehende Muster zu erkennen, sondern es werden neue Muster erzeugt, die das sinnesübergreifende, partizipatorische Theater möglich machen, das Moholy-Nagy sich wünschte, welches „die Masse nicht stumm zuschauen lässt, sie nicht nur im Innern erregt, sondern sie zugreifen, mittun“ lässt.
Informationen zum Stück
- Sensefactory
- Eine großformatig-begehbare Installation
- von: Erik Adigard, Sofian Audry, FM Einheit, Dietmar Lupfer, Chris Salter, Alex Schweder, Sissel Tolaas
- Dauer: ca. 30 Minuten
- Premiere: 21.11.2019
Beteiligte
- von: Erik Adigard, Sofian Audry, FM Einheit, Dietmar Lupfer, Chris Salter, Alex Schweder, Sissel Tolaas